Spaß ohne Worte 2005

Fliegen mit gehörlosen Passagieren

Nach der Landung konnte mein Passagier seine Eindrücke nicht in Worte fassen. Das breite Grinsen und das anerkennende Klopfen auf meine Schulter sprachen jedoch Bände. Maik (37) war von seinem ersten Flug in einem Ultraleicht Trike begeistert. Trotzdem konnte ich mir nicht verkneifen, ihn zu fragen, wie es ihm denn gefallen habe. Maik gestikulierte und streifte sich dabei mit zwei Fingerspitzen über die Nase. „Das ist das Zeichen für Spaß“ erklärt mir Herr Scheerbaum, der auch meine Frage in Gebärdensprache übersetzt hatte, denn Maik kann mich nicht hören. So wie auch seine Mitbewohner, Andy (33), Sophie (23) und Melanie (19), die heute ebenfalls zum ersten mal im UL gesessen haben und freudestrahlend mit Handzeichen ihre Erlebnisse austauschen, ist Maik gehörlos.



Die vier leben in einer der Wohngemeinschaften, die von der gemeinnützigen Gesellschaft Sinneswandel in Berlin betreut wird. Diese fördert gehörlose und hörgeschädigte Menschen mit geistigen oder psychischen Behinderungen unterschiedlichen Grades.
Als Henry Maek, der zweite Vorsitzende des Drachenflieger Clubs Berlin über seine Lebensgefährtin von diesem Projekt erfuhr, war für ihn sofort klar: hier kann der DCB einmal mehr beweisen, dass seine Gemeinnützigkeit nicht nur ein Steuertatbestand ist. Schließlich haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, den Menschen in Berlin und Brandenburg den Flugsport nahezubringen – und zwar allen!
Nach einiger Vorbereitung und einem bisschen Bürokratie (es mussten die Einverständniserklärungen der Eltern eingeholt werden), wurde am 3. Mai die WG8, die von Sinneswandel für unsere Einladung ausgewählt hatte, von Hans-Christoph Buddee mit einem Kleinbus in Berlin abgeholt und zum Vereinsflugplatz Altes Lager bei Jüterbog gebracht.
Dank des anfangs herrlichen Frühlingswetters herrschte an diesem Samstag bereits reger Betrieb: Gleitschirmflieger ließen sich mittels einer Winde in die Luft befördern, Drachenflieger wurden von UL Trikes in den brandenburgischen Himmel geschleppt.
Hans-Christoph erklärte der Gruppe die weitläufige Anlage und die verschiedenen Flugsportarten die auf diesem ehemaligen Militärflugplatz betrieben werden; als erster Vorsitzender des DCBs  ist er schließlich bestens damit vertraut. Auch hier übersetzten Herr Scheerbaum und seine Kollegin Frau Kayser Gesprochenes in Gebärdensprache.
Ihre Finger hatten erst wieder Pause als Maik, Andy, Sophie und Melanie andächtig die Vorbereitung eines Drachenstarts verfolgten.
Henry hatte Nadja, mit der er schon des öfteren Trike geflogen war, eingeladen, an seinem Doppelsitzer mitzufliegen. Für die junge Frau eine ganz besondere Erfahrung, da sie das Fliegen vor allem hört und fühlt; Nadja ist nämlich blind.
Die WG8 sah interessiert zu, wie Passagier und Pilot unter den Hängegleiter geschnallt und kurz darauf vom Schlepptrike nach oben gezogen wurden. Die Mutigen bekamen nun Lust, sich selbst die Höhenluft um die Nase wehen zu lassen, also wurden die Trikes für unsere Gäste startklar gemacht.



Leider spielte der Himmel vorerst nicht mehr mit, er hatte sich immer weiter verdunkelt und eine Wolke drohte gar mit Regen. Kurzerhand wurde die Überraschung vorgezogen, die wir für unsere Gäste hatten: ein Besuch bei der Garnison-Schau des Garnisongeschichtsvereins Jüterbog “St. Barbara” e.V. Ulli Teilemann, ein Vorstandsmitglied des Vereins, hatte uns ein tolles Angebot gemacht, nachdem er von unseren Gästen erfahren hatte: „Wir holen euch ab und ihr schaut euch alles an!“. Die Abholung, die dann eine halbe Stunde später auf den Platz rollte, war beeindruckend: ein gigantischer Lastwagen russischer Bauart. Damit wurde unsere Truppe zur benachbarten Barbara Halle transportiert um sich dort ein buntes (oder eher olives) Treiben anzuschauen. Militärfahrzeuge und -technik aus aller Welt, Sammlungen und Modelle konnten hier bestaunt und teilweise im wahrsten Sinne des Wortes erfahren werden.
Schnell war über eine Stunde vergangen, bis das russische Ungetüm mit unseren Passagieren zurück kam. Zwischendurch hatte es kurz geregnet woraufhin sich die meisten Wolken nach Süden verabschiedet hatten.
Für die vier gehörlosen Männer und Frauen ging es jetzt zur Sache, Overalls wurden angezogen, Helme ausprobiert und Handzeichen vereinbart: Daumen hoch für „alles okay“, Daumen runter für „ich will runter“.
Kurz darauf waren vier Trikes mitsamt Passagieren in der Luft. Von Leuten, die zum ersten Mal in einem Trike fliegen höre ich in der Regel immer das gleiche: „Toll! Phantstisch! So habe ich es mir nie vorgestellt!“. Bei diesem Mitflieger reichte ein enthusiastisch ausgestreckter Daumen, um das gleiche auszudrücken. Fliegen ist eh zu schön, als das man es in Worte fassen könnte. Maik hat mir gezeigt, dass es auch nicht nötig ist. Er strahlte mich an, ich grinste zurück und strich mit zwei Fingerspitzen über meine Nase. Spaß – ohne Worte!
weitere Infos bei:
Matthias Heib,                 Tel: 0171 – 2101667
Henry Maek,                     Tel: 0172 – 3003294